World Press Photo Exhibition 2023 und Grünkohl

Nun schon zum neunten Mal: Die World Press Photo Exhibition ist auch im Jahr 2024 wieder zu Gast in Oldenburg gewesen. Die Veranstaltung der Oldenburger Firma Mediavanti in Partnerschaft mit der World Press Photo Foundation in Amsterdam gehört inzwischen fest zum Oldenburger Kulturleben – und so hat sich auch der Gewerbe- und Handelsverein von 1840 nicht die Chance entgehen lassen, einige der besten Presse-Fotos des weltweit größten und wichtigsten Wettbewerbs für Pressefotografie anzusehen. Insgesamt 22 Mitglieder und Gäste besuchten die Ausstellung im Schloss. Zu dem gezeigten Wettbewerb des Jahres 2023 (mit Aufnahmen aus dem Vorjahr) hatten über 3.000 Fotografen über 60.000 Fotografien eingereicht. Viele der gezeigten Aufnahmen sind schon für sich beeindruckend genug. Doch erst mit der fachkundigen Erläuterung der Kunstvermittler Frau Dr. Stefanie Ritterhoff und Dirk Meyer erschloss sich den Teilnehmern so manche Geschichte hinter den einzelnen Aufnahmen. Dadurch gewannen die Abbildungen mehr an Tiefe, so dass die Betrachter einen noch intensiveren Eindruck von der Szene bekamen, die der Fotograf festgehalten hat.

Das Gewinnerfoto des 2023er Wettbewerbs war besonders berührend. Es ist die Aufnahme der schwer verletzten hochschwangeren Frau, die nach einem russischen Raketenangriff auf einer Trage aus einem Krankenhaus der ukrainischen Stadt Mariupol gerettet wurde. Sie verstarb mit ihrem Baby nur wenige Stunden nach der Aufnahme. Das Foto fasst zusammen, was unser Ausstellungsführer Herrn Meyer treffend anmerkte, dass diejenigen am meisten unter dem Krieg leiden würden, die am wenigsten für ihn könnten.

Ein weiteres Bild zeigt eine völlig desillusionierte junge Frau im Iran, die westlich gekleidet und ohne Verschleierung an einem gelb leuchtenden Plastiktisch eines Cafés sitzt, neben sich auch noch einen rot leuchtender Plastikstuhl. Während beide Gegenstände für buntes und vielfältiges Leben zu stehen scheinen, eilen im Hintergrund viele schwarz gekleidete, voll verhüllte Frauen an der jungen Frau vorbei. Gleich einer schwarzen Wand bilden sie einen starken Kontrast zu dem farbenfrohen Vordergrund. Die Szene symbolisiert den von der in Haft verstorbenen Kurdin Masha Amini ausgelösten Aufstand junger Frauen gegen die gesetzliche Hijab-Vorschrift. Mit fast resignierendem, aber zugleich auch anklagenden Blick schaut die protestierende junge Frau in die Kamera und damit direkt den Betrachter an und löst damit große Betroffenheit bei diesem aus. Kann es richtig sein, dass religiöse Regeln verhindern, dass die jungen, lebensfrohen Frauen ihre Interessen ausleben können? Was können, vielleicht müssen wir tun, um den jungen Frauen ein freies Leben zu ermöglichen?

In Mexiko werden in einem sogenannten „Blumengürtel“ auf einer riesigen Fläche Schnittblumen im industriellen Umfang gezogen. Damit sie wachsen, werden Pestizide eingesetzt, die in Europa und vielen anderen Ländern weltweit längst verboten sind. Der Fotograf Christopher Rogel Blanquet hat in seiner Fotoserie „Schönes Gift“ die Auswirkungen des Pestizid-Einsatzes in dem Niedriglohnland dokumentiert. Viele Arbeiter auf den Blumenfeldern, die mit den Pestiziden Kontakt haben, bekommen Kinder mit schweren Geburtsfehlern, die mutmaßlich auf den Pestizideinsatz zurückzuführen sind. Die Fotoreihe zeigt Kinder, die an vielen Gebrechlichkeiten, wie z.B. Enzephalomalazie (Gehirnerweichung), leiden und auf viel Hilfe angewiesen sind. Der Fotograf hat sich den Kindern sehr respekt- und gefühlvoll genähert. Das wird aus den fast intim wirkenden Aufnahmen deutlich. Umso vehementer tritt der Schrecken hervor, den der Pestizideinsatz zu verursachen scheint. Der Betrachter erschrickt und fragt sich, wie es nur sein kann, dass die Menschen dort unter so offenkundig gesundheitsschädlichen Bedingungen arbeiten müssen. Wie skrupellos muss man sein, solche Pflanzenschutzmittel zu verkaufen, die andernorts wegen ihres Gesundheitsrisikos längst verboten sind?


Ein anderer Fotograf hat eine Bildreihe über Alltagsszenen queerer ältere Männer eingereicht, die als „Golden Gays“ auf den Philippinen gemeinsam in einer Gemeinschaft leben. Das Land gilt als relativ queerfreundlich, wie uns Herr Meyer erläuterte. Die Aufnahmen sind nicht nur bunt und schrill. Sie zeigen auch, dass die Menschen sich dabei frei und unbefangen fühlen. In einem Portrait schaut ein geschminkter, über 70 Jahre alter Mann durch einen bunten, teils glitzernden Vorhang. Ein beeindruckendes Portrait, das einerseits den Stolz und die Erhabenheit des Mannes ausstrahlt. Trotzdem symbolisiert der Vorhang auch, dass nach wie vor eine scheinbar unüberwindbare Distanz zum Betrachter besteht, dass queere Menschen immer noch nicht in der Gesellschaft akzeptiert sind. Obwohl diese Aufnahmereihe in keiner Weise anstößig erscheint, wollten laut Herrn Meyer die Ausstellungsveranstalter in Polen zunächst verhindern, dass diese Dokumentation dort überhaupt gezeigt wird. Allerdings hatten sie sich gegenüber der World Press Photo Foundation verpflichtet, sämtliche ausgewählten Bilder zu zeigen. Nachdem die polnischen Aussteller die Fotoreihe folglich nicht verhindern konnten, änderten sie die Zugangsregeln zu der Ausstellung so, dass jedenfalls Minderjährige die Ausstellung nicht betreten durften, damit sie keinen „seelischen Schaden“ nehmen. Angesichts der Harmlosigkeit der Aufnahmen eine nicht zu rechtfertigende Entscheidung.  Auch in der Oldenburger Ausstellung hingen diese Fotos eher am Rand in einem Raum, der vorrangig natürlich wegen der hier auch gezeigten Kriegsbilder an den Eingängen mit einer „Triggerwarnung“ versehen war. Das hat mich ein wenig verwundert.

Tatsächlich verging die Zeit beim Rundgang durch die Ausstellung wie im Fluge. Das lag nicht zuletzt an den beiden Kunstvermittler Frau Dr. Ritterhoff und Herr Meyer, die uns mit ihren Erklärungen zu den Geschichten hinter den Aufnahmen viele Bilder näher brachten. In unserer Gruppe hat Herr Meyer die Aufnahmen sehr sachkundig und mit vielen ebenso kritischen wie auch humorvollen Anspielungen so interessant erklärt, dass es ein eigenes Erlebnis war, ihm zuzuhören.

Trotz der lockeren Art der Führung haben die Aufnahmen ihre Wirkung bei den Teilnehmern hinterlassen. So wurde einem Teilnehmer bewusst, dass die Fotos jedes Jahr immer wieder zeigen, wieviel Leid sich noch immer in der Welt ereignet. Er fragte sich, wie es eigentlich sein könne, dass die Menschen daraus nicht lernen würden und das Leid kein Ende nimmt. So viel sei unnötig. Wie kann man den ärmeren Ländern so helfen, dass auch sie sich ohne Auseinandersetzung friedlich entwickeln und prosperieren können?

Am Ende der Führung bewegte viele Teilnehmer das Gesehene sehr. Angesichts der Not und des Schreckens, das die Fotos uns aus den verschiedensten Lebenssituationen und Ländern näher brachten, wird deutlich, wie wichtig es ist, friedlich miteinander zu leben. Bei aller Unzufriedenheit, die uns in diesen unruhigen Zeiten bewegt und auch zur Verunsicherung führt, können wir nur glücklich darüber sein und es wertschätzen, dass es uns im Vergleich mit vielen anderen Ländern noch immer sehr gut geht.

Nach der Führung schauten sich viele Mitglieder und Gäste die Bilder noch einmal in Ruhe an, um sie auf sich wirken zu lassen. Dann ging es in den Ratskeller zum gemeinsamen Grünkohlessen. Sebastian Frey als Inhaber des Ratskeller und zugleich GHV-Mitglied, sowie seine Crew tischten leckeren Grünkohl in gewohnt bester Qualität auf. In kleinen Tischrunden bestand so die Möglichkeit, sich mit den anderen Teilnehmern über die Ausstellung auszutauschen. Der Abend endete recht gesellig bei guten Gesprächen, und die meisten Teilnehmer freuten sich, bei dieser Veranstaltung mit dabei gewesen zu sein.

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